Die besten Bücher, die ich in diesem Jahr gelesen habe - hier sind sie.
"DAS ACHTE LEBEN (FÜR BRILKA)"
von Nino Haratischwili
Mit ungeheurer Fabulierlust erzählt Haratischwili die Geschichte einer Familie über fünf Generationen und spiegelt darin die wechselvolle Geschichte Georgiens, aber auch die Geschichte der UdSSR und Europas wider. Es sind die unfassbaren Tragödien des letzten Jahrhunderts, die sich tief in die Menschen eingegraben haben. Dabei sind die Charaktere so plastisch, lebensnah und tief gezeichnet sind, dass sie wie Menschen aus Haut und Haar wirken. Meisterhaft verwebt Haratischwili die einzelnen Fäden ihrer Figuren miteinander, bis am Ende ein einzigartiger Teppich mit den Bildern des 20. Jahrhunderts zu bestaunen ist.
Dieser Roman ist ausschweifend, genial, intensiv und einmalig.
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"AUGUSTUS"
von John Williams
Anhand von Briefen, Memoiren, Tagebucheinträgen, Schmähschriften, Gedichten, Erlassen, Protokollen, Petitionen und vielen anderem malt John Williams ein buntes und lebendiges Bild des Römischen Reiches zu Zeiten Kaiser Augustus, in denen die Republik durch Korruption und Vetternwirtschaft an ihr Ende gelangt war und der erste Kaiser aus den Bürgerkriegen hervorging. Aufgebaut wie ein antikes Drama, bevölkert mit lebhaften Menschen voller Begierden, Wünschen, Träumen und Handlunsgmotivationen, nahm dieser Roman schon vor Jahrzehnten vorweg, was heute als Geheimrezept von Netflix Produktionen gilt: Intrigen, Komplotte, innere Zerrissenheit, überraschende Wendungen, Morde und Freundschaften.
Also vergesst Netflix und lest diesen Roman!
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"EIN MYTHOS VON MIR"
von Arno Dahmer
Arno Dahmer hat einen wunderbar verdichteten Roman geschrieben, in dem philosophische Gedankengänge in ein einzigartiges Kostüm aus naturhaften Vergleichen und poetischen Bildern gestrickt wird. Dabei steht besonders die Frage nach dem Wesen des Lebens im Mittelpunkt, aber auch jene nach der Sprache. Mit der Figur des Markward Hain hat Dahmer zudem einen wunderbaren Charakter erschaffen, dessen Wesen bereits im Namen angelegt ist. Als fabelhafter Topos dient hier auch der Wald, ist er doch seit jeher ein Ort, an dem Wundersames geschieht, in dem Realität und Fiktion miteinander verschwimmen, unheimlich und dennoch reizvoll.
Ein philosophischer, fein nuancierter und poetischer Roman, den ich jedem ans Herz legen kann.
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"EIN GEIST IN DER KEHLE"
von Doireann Ní Ghríofa
Dies ist ein weiblicher Text. Ein weiblicher Text, der es in sich hat. Das Klagelied einer Irin aus dem 18. Jahrhundert dient hier als Ausgangspunkt einer ganz besonderen Spurensuche. Die Protagonistin, selbst dreifache Mutter, erschöpft und gehetzt, begibt sich auf die Suche nach der Dichterin, einer Frau, die durch den männlichen Blick auf die Geschichte ausgelöscht wurde. Sie wurde getilgt wie so viele Frauen zuvor und danach. Doch in ihrem Gedicht findet die Mutter Kraft und Mut und widmet sich der Übersetzung und Nachforschung. Und auch wenn sie nur Bruchstücke über die Dichterin erfährt, fühlt sie sich über die Jahrhunderte mit ihr verbunden.
Dieser Text ist die poetische Selbstfindung einer Frau in einer männerdominierten Welt. Ein ganz besonderes Buch.
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"DAS FEUER RETTEN"
von Giullermo Arriaga
Ein ungemein rasanter Roman, in dem die bürgerliche Welt Mexikos auf die kriminelle prallt und ein Beben entsteht, das alles in den Abgrund reißt. Erzählt wird die Geschichte aus vier unterschiedlichen Perspektiven, die oft brutal und schonungslos die heutige Spaltung Mexikos offenlegen. Dabei handelt der Roman davon, Grenzen zu sprengen und aus der Mittelmäßigkeit auszubrechen, das Leben, in dem man sich häuslich eingerichtet hat, aufzubrechen und zu fliehen. Er handelt von dem Wunsch nach mehr, dem Wunsch, seiner Leidenschaft zu folgen, sowohl in der Kunst, die Erfüllung und Freiheit verspricht, als auch in der Liebe.
Brutal, aber ehrlich. Vor allem ist es eine der ungewöhnlichsten und spannendsten Liebesgeschichten, die ich je gelesen habe.
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"DIE UNGLEICHZEITIGEN"
von Philipp Brotz
Philipp Brotz hat einen bewegenden Roman über Heimatlosigkeit geschrieben, aber auch über Liebe und Freundschaft. In klarer, unaufgeregter und einfühlsamer Sprache breitet er die Geschichte eines Einzelgängers aus, der entwurzelt in seine Heimat im Schwarzwald zurückkehrt, in der Hoffnung, die Zeit zurückzudrehen. Doch dort muss er sich der Realität stellen und lernt in Adana eine geflüchtete Jesidin kennen. Die anfängliche Ablehnung schlägt in Offenheit und Empathie um, und erst als Hagen auch andere Geflüchtete kennenlernt, entdeckt er die Menschen hinter der Projektionsfläche, wo die vermeintlich Anderen zu dem werden, was sie wirklich sind: Menschen mit Namen, mit Gefühlen und Lebensgeschichten.
Ein bewegender und angesichts aktueller Flüchtlingsdebatten wichtiger Roman.
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"MORGEN, MORGEN UND WIEDER MORGEN"
von Gabrielle Zevin
Bewegend erzählt Zevin, was uns aneinanderhält, was uns reizt und verbindet, aber auch entzweit, erzählt von Freundschaft, die so zerbrechlich sein kann wie Porzellan, aber auch stark wie Panzerglas. Doch auch die Kunst steht im Vordergrund, der kreative Prozess, dem alle Schaffenden unterworfen sind. Dabei steht die Frage im Raum, was es eigentlich heißt, Großes zu erschaffen. Möchte man etwas Einzigartiges kreieren, das aber nur wenige berührt, oder etwas, was viele Menschen bewegt? Geht es um Klasse oder Masse? Was ist, was kann und was soll Kunst?
Ein wirklich lesenswerter Roman, auch wenn ich den Hype nicht ganz nachvollziehen konnte.
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"DAS VOLK DER BÄUME"
von Hanya Yanagihara
Dies ist die Geschichte eines Mannes, der in den Augen der Gesellschaft großartige Leistungen vollbracht hat, ein Forscher und Wissenschaftler, der dem Kern des ewigen Lebens auf die Spur gekommen ist und dafür ausgezeichnet wurde. Doch vor seinen Schattenseiten verschloss man zu lange die Augen. Kann man die Leistung eines Menschen noch würdigen, wenn er schreckliche Taten vollbracht hat? Mit großer Erzählkunst stellt Yanagihara hier einen Mann in den Mittelpunkt, bei dem man unweigerlich an R. Kelly, Till Lindemann, Harry Weinstein und andere denken muss. Zugleich geht es aber auch um die Wissenschaft und ihre Grenzen. Wie weit darf Wissenschaft gehen? Und was geschieht, wenn Neugier in Gier umschlägt?
Ein verstörender Roman, der besonders die Frage nach moralischem Relativismus aufwirft.