...liest gerade „Ein Mythos von mir“ von Arno Dahmer

Hatte Wittgenstein Recht?

Kann ich eine Privatsprache kreieren, die nur ich verstehe?

Kann ich leben, indem ich mich als einzig wahre Referenz betrachte?

Oder brauche ich doch andere Menschen, um aufzuleben?

 

Markward Hain, Doktor der Existenzphilosophie und Leiter von Deutschkursen für Migranten, hat so seine Eigenheiten. Schon seit langem hat er sich dem Geist verschrieben, ein Denker und Gelehrter, der abends kein Tagebuch schreibt, sondern ein Journal. Nach der Arbeit bildet er sich umfassend weiter und brütet über seiner Habilitation. Zurückgezogen lebt er am Rande eines Dorfes, ein Einsiedler, dessen Leben ins Wanken gerät, als seine Tante stirbt.

 

In einem Wirtshaus im nahegelegenen Wald lernt er eine junge Kellnerin kennen. Immer wieder pilgert er zu dem Ort, denn in ihr scheint er eine Seelenverwandte gefunden zu haben, die ihn aus seiner selbst gewählten Isolation befreit. Als er sie jedoch außerhalb des Waldes zu kontaktieren versucht, erscheint sie unerreichbar. Ist sie nur eine Einbildung? Als Hain ihr auf den Grund zu gehen versucht, reißen seine Grenzen ein und seine Welt gerät aus den Fugen.

 

Arno Dahmer hat mit „Ein Mythos von mir“ einen wunderbar verdichteten Roman geschrieben. Philosophische Gedankengänge werden hier in ein einzigartiges Kostüm von naturhaften Vergleichen und poetischen Bildern gestrickt, wie ich sie lange nicht gelesen habe. Dabei steht besonders die Frage nach dem Wesen des Lebens im Mittelpunkt, aber auch jene nach der Sprache.

 

Mit der Figur des Markward Hain hat Dahmer zudem einen – im wahrsten Sinne des Wortes – wunderbaren Charakter erschaffen, dessen Wesen bereits im Namen verankert ist. So leitet sich „Markward“ aus dem Althochdeutschen ab und bedeutet „Schützer der Grenze“. „Hain“ steht auch heute noch für einen lichten Wald.

 

Überhaupt dient der Wald hier als wunderbarer Topos, ist er doch seit jeher ein Ort, an dem Wundersames geschieht, in dem Realität und Fiktion miteinander verschwimmen, unheimlich und dennoch reizvoll. In ihm wird das Alltägliche aufgebrochen und es geschieht das Unerwartete, aus dem der Held als ein anderer hervorgeht.

 

„Ein Mythos von mir“ ist ein philosophischer, fein nuancierter und poetischer Roman, dem ich wirklich jeden ans Herz legen kann.

 

 

Arno Dahmer: Ein Mythos von mir

Roman

Hardcover, 244 Seiten

kul-ja publishing, Erfurt 2023