...liest gerade "Zeit der Wildschweine" von Kai Wieland

 Leon und Janko könnten unterschiedlicher nicht sein, doch sie verbindet dieselbe Leidenschaft.

 Zusammen begeben sie sich für eine Reportage auf die Reise zu den lost places der französischen Atlantikküste.

 Allerdings führt sie die Unternehmung nicht nur zu den verlassenen Orten, sondern auch immer weiter zu sich selbst.

 

Leon ist Reisejournalist. Für Reportagen bereist er die Welt und erkundet Orte, deren Charme sich aus ihrer Verlassenheit speist. Zurück in Deutschland verbringt er die meiste Zeit alleine in seiner Wohnung. Obwohl er ein freies, ungezwungenes Leben führt, wirkt er nicht zufrieden, geschweige denn glücklich. Er weiß nicht recht, was er in seinem Leben anstellen soll und so drückt er sich vor Verbindlichkeiten, sieht in jeglicher Beständigkeit nur Erschlaffung, verbringt schon mal ganze Tage im Bett und zieht dann wieder hinaus in die Welt, um sich vor jeglicher Verantwortung zu drücken. Als er mit dem Vater sein Appartment gegen das Haus seiner Kindheit tauschen soll, ploppen schemenhaft Erinnerungen in ihm auf, die wie ein Schatten auf ihm zu liegen scheinen. Und dann ändert sich plötzlich sein Leben, als Janko vor ihm steht.

 

Janko scheint all das zu sein, was er nicht ist. Dieser Fotograf ist exzentrisch, tättowiert und ungehobelt, ein Exzentriker, der nicht gerne über sich selbst redet. Es trennt sie mehr als sie eint, doch eines verbindet sie: die Liebe zu Filmen, deren Zitate Jankos Körper schmücken.

 

Als Leon nach Frankreich fahren soll, um für einen Reiseführer die lost places der atlantischen Küste zu dokumentieren, nimmt er Janko als Fotografen mit. Auf dem Roadtrip begegnen sie in verlassenen Städten eigenwilligen Menschen, von der Gesellschaft Verstoßenen oder vor der Gesellschaft Geflüchteten, wie sie selbst welche sind. Während Janko dem Bild hinterher jagt, das ihn berühmt machen soll, stolpert Leon in ein Filmset, dessen Kulissen die Grenzen von Wirklichkeit und Fiktion aufzuheben scheinen. Und plötzlich stellt sich immer mehr die Frage: Was geschieht hier eigentlich wirklich? Und wohin ist Janko plötzlich verschwunden? Und wer ist eigentlich dieser Janko? Was genau hat er mit Leon zu tun? Verbindet sie gar ein Geheimnis, das sie teilen?

 

"Die Zeit der Wildschweine" ist eine Hommage an den Film. In zwei verschiedenen Erzählsträngen wird eine Geschichte entblättert, die vor Zitaten und Anspielungen auf die Filme von David Lean, David Lynch, David Fincher oder den Journalisten Hunter S. Thompson nur so strotzen. Im Zentrum steht dabei stets die Frage nach der Selbstverwirklichung. Denn was ist eigentlich Selbstverwirklichung? Und wie weit muss man gehen, um sie zu erlangen? Kann man sie eigentlich erlangen? Und was hat das übrigens alles mit Fight Club zu tun, dem Kultfilm von 1999?

 

Der Roman ist melancholisch, tiefsinnig und bietet viel Stoff für Filmfans. Allein mich konnte er nicht wirklich mitreißen. Das mag vor allem daran liegen, dass mir viele Anspielungen entgangen sind, ich wohl auch nicht alle Filme kenne, deren Szenen hier eingearbeitet sind, Fight Club einmal ausgenommen. Und so fand ich den Roman leider eher etwas dröge und zäh und auf die Dauer etwas langatmig. Wer sich mit der Filmgeschichte auskennt, wird bei der Lektüre wahrscheinlich sein Vergnügen haben, bei mir hielt es sich allerdings in Maßen.

 

 

 

Kai Wieland: Zeit der Wildschweine

Roman

Hardcover, 271 Seiten

Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2020