Mal wieder Zeit für einen echten Klassiker!
Einfach ein atemberaubender Roman! Die Darstellung von Hunger gelingt hier so überzeugend, plastisch und ausdrucksvoll, dass man während der Lektüre selbst mithungert und das wilde Knurren im Magen nicht unterdrücken kann. Durch die damalige neue Erzähltechnik des Bewusstseinsstroms spürt man geradezu in jeder Faser die Zerrissenheit zwischen Scham und Stolz, zwischen Größenwahn und Selbsterniedrigung, zwischen Verdruss und Hoffnung, die den Protagonisten zersetzt und immer weiter an den Rand der Gesellschaft drängt.
Es ist die Geschichte eines verarmten (Überlebens-)Künstlers, die die gesellschaftlichen und sozialen Verwerfungen des ausgehenden 19. Jahrhunderts aufwirft und mitten hinein in die Frage zielt: Was ist Kunst und was ist Dilettantismus? Braucht Kunst einen besonderen Nährboden, um zu entstehen? Entsteht sie erst durch Ablehnung, durch Armut und Existenznöte? Erfährt man Inspiration erst durch Leid und Verdruss? Oder sind das nur schwachsinnige Gedankengänge eines obdachlosen Dilettanten?
Besonders spannend ist die Fragestellung hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des Romans, denn Knut Hamsun litt selbst an Hunger, während er die Geschichte schrieb, die ihm ab 1890 zu seinem weltweiten Ruhm verhalf.
Ein herausragender Roman, witzig und zugleich erschreckend!
Knut Hamsun: Hunger
Roman, aus dem Norwegischen von Siegfried Weibel
Taschenbuch, 160 Seiten
Ullstein Verlag, Berlin 2017